Ruth Erdt

The Gang

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Tages Anzeiger, 12.12.2001

Waldbeeren, Blut und blaue Flecken Ein Familienalbum der besonderen Art: Ruth Erdts Bildgeschichte «The Gang» Von Barbara Basting

Leider können wir höchstens darüber spekulieren, wie nachgeborene Kulturhistoriker einmal die überbordende Kunstproduktion des Abendlandes gegen Ende des 20. Jahrhunderts interpretieren werden. Eine erstaunliche Konjunktur der Portrait- und Familienfotografie im Kunstkontext dagegen können wir schon heute diagnostizieren. Wobei in den letzten zehn Jahren neben der eiskalt-coolen Linie – wie sie die Eleven der Becher-Schule, Thomas Ruff oder Thomas Struth, verkörpern – auch die dirty tones etwa einer Nan Goldin Anklang gefunden haben. Und Familie nicht nur Familie im herkömmlichen Sinn, sondern diverse Aggregatszustände derselben meint. Gleichzeitig stehen die erwähnten Namen für Grade der Inszenierung, die jeweils gleich mitthematisiert werden. Die Kontoverse vor einigen Jahren um die Bilder der nackten Töchter von Jock Sturges – man warf ihm Kindsmissbrauch vor – erschloss, wie zentral dieser Aspekt ist. Sie folgt bei diesem Sujet nicht nur ästhetischen Kriterien, sondern moralischen Tabus.

Schnappschüsse?

Familienbilder, diejenigen, die wir alle im Album haben, entsprechen meist bestimmten Konventionen. Pubertierende Mädchen, die ihren Körper entdecken, nackte Väter mit Zigarette im Bett, stürmische Küsse, blaue Flecken oder auf einer Männerbrust verschmiertes Blut gehören nicht unbedingt ins Repertoire. Sowohl die Frage nach der Inszenierung wie der ungeschriebene Kodex des respektablen Albums schwingen mit in dem Fotobuch The Gang von Ruth Erdt. Die 1965 geborene Zürcherin hat mit 110 jeweils ganzseitigen reproduzierten Farb- und Schwarzweissaufnahmen aus den letzten 15 Jahren, die eher dirty anmuten als cool und doch etwas Distanziertes behalten, eine eigenwillige Bildgeschichte komponiert. In dieser spielen neben ihren Kindern Eva und Pablo und ihr selber auch diverse Männer sowie weitere Kinder, ältere und jüngere Frauen eine Rolle. Es erschliesst sich aber allein durchs Schauen nur zum Teil, wer hier wie miteinander verbunden ist. Offen bleibt auch, ob die Aufnahmen, die eine Ästhetik fernab der heute dominierenden Werbung kultivieren, authentische Schnappschüsse aus dem Familienleben sind oder inszenierte Momente zeigen.

Doppelte Offenheit

Gerade diese spezifische Mischung, diese doppelte Offenheit bewegt die Fantasie. Schon beim Durchblättern bleibt der Blick nicht nur bei den Portraits hängen, deren starke Ausstrahlung bannt, vielleicht weil sie alle Personen, selbst die Kinder, ernst, selbstvergessen zeigen. Er hält auch bei den stilllebenartigen Szenen inne: den vier Weisheitszähnen, den auf einem Grashalm aufgezogenen Waldbeeren, der Spinne, dem Wundschorf auf der Haut, dem unscharf fotografierten Ölbild zweier Häschen, dem Abrisshaus. Das Changieren zwischen Dokument und rätselhafter Chiffre verdichtet sich hier zusätzlich. Allen Bilder von Ruth Erdt, selbst den flüchtigsten, eignet eine eigentümliche Konzentration, die sich in der komponierten Sequenz noch verstärkt.

ZEITGENÖSSISCHE FOTOKUNST AUS DER SCHWEIZ Urs Stahel 2002

Ruth Erdt dokumentiert seit achtzehn Jahren ihr Leben, sich selbst, den Vater ihrer beider Kinder, die Kinder sowie die wichtigen Freunde und Freundinnen. Der Blick ist hart und direkt, aber auch warm und sentimental. Wir sind nahe dran, inmitten dieser Intimität, spüren die Spannung, die Erotik, die Verlorenheit, ausschnitthaft das Gefühlspotential einer jungen Familie- und wir fühlen uns doch nicht als Eindringliche, denken entlang der Bilder über unsere eigene Suche nach. In der Tradition der autobiografischen Fotografie stehend, schafft Ruth Erdt Bilder von Eindringlichkeit, Offenheit und subtiler Erotik.

THE GANG

In ihren Bildern erzählt Ruth Erdt Geschichten. Aus ihrem Leben erzählt sie, oder aus dem, was wir vermeintlich für ihr Leben halten. Sie gewährt uns Einblick, richtet die Kamera auf die Kinder, auf sich selbst, auf ihre Lebenspartner. Drückt ab, ein Ritual. Und doch wirkt das Inszenieren in den eigenen vier Wänden ungezwungen. Situationen ergeben sich von selbst, erst dann holt Erdt das mechanische Auge hervor und trennt damit ein Stück aus dem Echtzeitkontinuum heraus. Macht den einen Moment zu etwas anderem.

Lars Muller Publisher / 2001 ISBN 3-907078-48-9 Text Gianni Jetzer 120 Seiten Vergriffen

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